Konstantin Weckers Eröffnungsrede am Schwabinger Weihnachtsmarkt 2024
Am 29.11.2024 hielt Konstantin Wecker die Eröffnungsrede am Schwabinger Weihnachtsmarkt. Wir danken Jürgen Zender sehr herzlich für die Videoaufnahme. Darunter die Schriftversion.
Ihr Lieben, schön, dass Ihr da seid, ich hab hier wirklich sehr gern zugesagt, und es gibt einige Gründe, von denen ich Euch heute einige erzählen will:
Drei meiner Lieblingsdichter haben viele Jahre in Schwabing gelebt: Rainer Maria Rilke, Erich Mühsam und Oskar Maria Graf. Alle drei haben meine Liebe für die Poesie und die Anarchie bereits in sehr frühen Jahren geweckt. Auch darauf werde ich noch zu sprechen kommen hier mitten im Herzen von Schwabing.
Ich habe meine ersten 18 Jahre am Mariannenplatz verbracht, aber in Schwabing hatte ich ab den frühen 1970er Jahren meine ersten künstlerischen Auftritte und seit der Geburt meines Sohnes Tamino 1999 ist Schwabing auch mein persönliches Zuhause geworden:
Unzählige Abende habe ich in der Lach- und Schießgesellschaft seit meiner ersten LP 1973 verbracht, dann die ersten großen Konzerte im legendären Schwabinger Bräu und nicht zu vergessen ab 1995 all die Konzerte im Lustspielhaus.
Meinen Kollegen und Freund Hannes Wader habe ich zum ersten Mal in der Schwabinger 7 gesehen: Aber gesprochen und persönlich kennenlernen konnte ich ihn erst viel später. Eigentlich wollte ich Hannes nur sagen, wie toll sein Konzert gerade gewesen ist, aber er war in der 7 so von verblendeten Ideologen umzingelt, die ihm alle die Welt erklären wollten, dass ich es einfach nicht geschafft habe, bis zu ihm vorzudringen.
Manchmal haben es Künstlerinnen einfach schwer, auch ökonomisch. Zwar lebt der Mensch nicht vom Brot allein, sondern, wie die von mir sehr verehrte Theologin Dorothe Sölle klargestellt hat: Im Gegenteil, er stirbt vom Brot allein. Aber ohne Brot geht es halt auch nicht. So ist es doppelt nachvollziehbar, warum die Künstler der Schwabinger Leopoldstraße 1976 einfach die Initiative ergriffen haben und auf Tapeziertischen und unter Sonnenschirmen im Schneegestöber ihre Arbeiten auf dem Platz der Münchner Freiheit präsentierten. Die Anfänge waren improvisiert und abenteuerlich, aber mit ihrem 1. Schwabinger Weihnachtsmarkt schufen sich die Künstlerinnen selbstbestimmte Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten in der Adventszeit. Daraus ist eine feste und aus Schwabing und München nicht mehr weg zu denkende Einrichtung geworden, für deren Kontinuität die Künstlerinnen den Verein Schwabinger Weihnachtsmarkt e.V. gründeten. Und der Schwabinger Weihnachtsmarkt sorgte immer wieder für Innovationen: Hier konnten wir Münchner bereits Mitte der 1980er Jahre sogar in der Adventszeit nördlich der Alpen eine echte italienische Salsiccia-Bratwurst-Semmel essen. Auch deshalb bin ich dann in den 2000er Jahren mit meinen Kindern auf dem Schwabinger Weihnachtsmarkt oft und gerne unterwegs gewesen und wir haben die kreativen Kunststände besucht. Dieses Jahr stellen 60 Künstlerinnen aus ganz Deutschland ihre individuell gestalteten Arbeiten persönlich in einer ganz besonderen Atmosphäre aus.
Und weil Schwabing eine ganz besondere Geschichte hat, will ich euch natürlich auch noch ein paar ganz besondere weihnachtliche Gedanken und Geschichten erzählen, natürlich aus der Perspektive eines leidenschaftlichen Anarchisten, der vermutlich mehr christliche Nächstenliebe erlebt hat als ein bayerischer Landesvater, der gegen alle ökologische Vernunft sogar Wärmepumpen und Deutschlandticket diffamiert, nur um kurzfristig seine Lufthoheit über die Stammtische zu sichern.
Als bekennender Anarchist schlägt mein Herz grundsätzlich für Räterepubliken, ob wie 1919 in Bayern oder heute in Rojava in Nordsyrien und Teilen Kurdistans.
In solch schrecklichen Zeiten wie diesen sollten wir uns besonders an jene Menschen erinnern, die damals von den Nazis ermordet wurden und deren Ideen Faschisten bis heute auslöschen wollen. Das dürfen wir nie zulassen. Deshalb möchte ich heute an Erich Mühsam erinnern und an Zenzl, seine kluge und mutige Frau und politische Weggefährtin, die zusammen vorne in der Georgenstraße 5 gewohnt haben. Heuer vor 90 Jahren ermordete die SS den großen Dichter und Menschenfreund Erich Mühsam am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg nach monatelanger Folter.
Wie schön wäre es, wenn es einmal eine Zeit gäbe, in der in bayrischen Schulbüchern zu lesen wäre, dass durch den Mut einer Anarchistin ein Anarchist als erster Mensch die bayrische Republik ausgerufen hat. Denn so ist es am Abend des 7. November 1918 mitten in Schwabing geschehen – Zenzl und Erich Mühsam zogen damals mit hunderten anderen Antimilitaristen von einer Kaserne zur anderen und riefen die Soldaten erfolgreich zur Revolution auf. Die Menschen hatten einfach die Schnauze voll von Krieg, Hunger, Unterdrückung, von der Monarchie und dem bayerischen Militarismus:
Der Dichter und Revolutionär Erich Mühsam ist damals der erste, der etwa gegen dreiviertel Sechs Uhr abends nach einer riesigen Antikriegsdemo auf der Theresienwiese vor der Türkenkaserne ausruft:
„In diesem Augenblick proklamieren wir Bayern zur Republik, geleitet von seinen Arbeiter- und Soldatenräten.“
Mühsam erinnert sich später, an diesem Abend sieben zur Revolution aufrufende Reden gehalten zu haben und hinterher so heiser gewesen zu sein, dass er kein Wort mehr herausbrachte.
Und Martha Feuchtwanger erinnert sich, dass Mühsam trotz dieser Reden daran dachte, einem Soldaten die Weisung zu geben, zur Schwabinger Wohnung des von ihm wie mir so hoch verehrten Dichters Rainer Maria Rilke zu gehen und an dessen Wohnung einen Zettel zu befestigen mit der Aufschrift „Beim Dichter Rilke darf nicht geplündert werden.“ Unterschrift: „Die Revolution“.
Und an dieser Stelle, ihr habt es vielleicht schon gemerkt, sind wir ganz von alleine bei der Weihnachtsgeschichte angekommen.
Ob sie sich genauso zugetragen hat, wie es in der Weihnachtsgeschichte des Matthäus im Neuen Testament geschrieben steht, ist letztlich genauso unwichtig wie die Frage, woher wir kommen und an was wir glauben oder eben nicht.
Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem, ein Stern soll ihnen den Weg zu Maria, Josef und Jesus gewiesen haben und sie schenkten dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Wörtlich heißt es bei Matthäus dann:
„Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach:
„Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.“
Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes.“
Eines kann ich Euch sagen:
Geht es nach den heutigen Despoten von Trump, Purin, Erdogan bis Orban und Meloni dürfte Josef Jesus noch nicht einmal adoptieren und eine Flucht nach Ägypten würden meterhohe Stacheldrahtzäune und tödliche Grenzregime verhindern.
So will ich euch eine Strophe aus meinem Lied Schäm dich Europa vortragen:
Schäm dich Europa – erst sätest du Kriege
überall in der Welt und dann brachten die Siege
deinen Herrschern und Fürsten Reichtum und Ehre
und es starben Millionen als Schlachtvieh deiner Heere
Du hast so viel Besitztümer an dich gerissen
Macht und Besitz sind dein gieriges Ziel
auch heute noch müssen wir alle uns schämen
denn wir machen doch mit bei diesem schäbigen Spiel
und nun fliehen die Ärmsten vor deinen Gewehren
und du lässt sie ersaufen in verseuchten Meeren
und hortest den Reichtum in Ländereien
statt ihn zu verteilen und die zu befreien
die niemals dem Hagel der Bomben entrinnen
die ihr herstellt und verkauft mit enormen Gewinnen
es ist doch genug da für all diese Armen
schäm dich Europa du hast kein Erbarmen (…)“
Wir leben wirklich wieder in einer Zeit, wo wir aufpassen müssen: Immer mehr Länder in Europa und jetzt auch die USA werden von Faschisten und Rassisten regiert und Konservative wie EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen paktieren für den eigenen Machterhalt in der EU mit der italienischen Postfaschistin Meloni. Jeder und jede einzelne und wir alle zusammen müssen uns engagieren, damit die Demokratie lebendig bleibt, sonst erstarrt sie.
Ich werde deshalb nicht aufhören zu träumen von einer herrschaftsfreien Welt ohne Krieg und Faschismus, von einer grenzenlosen Welt ohne Patriarchat, Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung von Mensch und Natur. Auf dem Weg dorthin wollen wir uns stark machen für die Rechte aller Menschen weltweit und für globale Klimagerechtigkeit. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Lasst uns deshalb solidarisch und gemeinsam kämpfen gegen Rassismus, Sexismus und Naziterror. Überall!
»Hoffnungslosigkeit ist natürlich auch ein Werkzeug der Rechten«, hat die Feministin und Autorin Veronika Kracher nach der Wahl von Trump geschrieben. Deshalb sollten wir ihrem Rat folgen und uns gegenseitig schützen: „Das beste Mittel gegen Hoffnungslosigkeit ist Solidarität.“
Dafür brauchen wir mutige Menschen.
Und deshalb sollten wir uns gegenseitig Mut machen.
Zum Schluss will ich Euch deshalb mein Lied singen
„Das macht mir Mut“:
Und keinem ist der Arm so lang,
auch nicht der Obrigkeit,
daß mir ein ehrlicher Gesang
im Halse stecken bleibt.
Wolln mich ein paar auch stumm zur Stund
und mir die Luft verpesten,
ich furz mir meine eigne, und
die ist bestimmt vom Besten.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
entfacht bei uns die Glut.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
diese Rassistenbrut!
Das macht mir Mut.
So muß es sein.
Und wenn dir was weh tut,
dann mußt du schrein.
Das macht mir Mut.
So muß es sein.
Und wenn dir was weh tut,
dann mußt du schrein.
So mancher Brave käm in Not,
würd man nicht schweigend sterben,
sondern entgegen dem Gebot
endlich rebellisch werden.
Das knabbert an den Wertpapieren,
das könnt verwundbar machen.
Ach, Freunde, statt zu lamentieren,
sollten wir etwas machen.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
entfacht bei uns die Glut.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
diese Rassistenbrut!
Das macht mir Mut.
So muß es sein.
Und wenn dir was weh tut,
dann mußt du schrein.
Das macht mir Mut.
So muß es sein.
Und wenn dir was weh tut,
dann mußt du schrein.
Ich wünsche Euch und allen Menschen weltweit von Herzen alles Gute!
Konstantin Wecker