Auftritt in Mönchengladbach – Kollektive Gänsehaut bei Konstantin Wecker

Von Dieter Mai

Rheinische Post, 1.5.2023

Mit Genehmigung der Rheinischen Post. Textrechte bei der Rheinischen Post.

Mönchengladbach · Lieder, Lyrik und viel Autobiografisches: Der Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor Konstantin Wecker absolvierte in der Kaiser-Friedrich-Halle einen umjubelten Auftritt in Trio-Besetzung.

Wenn die Menschen um dich herum sich verstohlen Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln wischen und Paare die Arme umeinander schlingen, dann macht der Künstler da vorne auf der Bühne wohl einiges richtig. Konstantin Wecker findet mit seinen mittlerweile 76 Jahren beim Konzert in der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach an diesem Sonntag im Nu den Weg in die Herzen seines mit ihm gereiften Publikums – poetisch und zugleich hochpolitisch wie eh und je. „Den Hass durch Zärtlichkeit besiegen“ und dabei „den Parolen keine Chance lassen“, dieses in einem langen Musikerleben mit Höhen und Tiefen entwickelte Credo vermittelt Wecker in einer anrührenden Intensität, die alle in ihren Bann zieht.

Fesselnd und authentisch schlägt der bajuwarische Menschenfischer den Bogen von Novalis bis Lucio Dalla, von Franz Schubert bis Mercedes Sosa. Und gibt dabei intime Einblicke in Privates und Familiäres, das ihn zu dem Mann geformt hat, dem hier und heute die Menschen so ergriffen zuhören. Das Publikum erfährt vom künstlerischen Multitalent des singenden und schreibenden Vaters, der nie vor großem Publikum auftrat, weil die Angst davor viel zu groß war. Der zugleich den grenzenlosen Mut besaß, in Nazi-Deutschland zu desertieren und dafür nicht am Galgen, sondern in der Irrenanstalt landete. Davon, dass der junge Konstantin solch ein Glückskind war, dem neben einer strahlenden Vaterfigur eine poesiebegeisterte Mutter den Weg ins Leben wies, profitierte er ein Leben lang und das Gladbacher Publikum an diesem bemerkenswerten Abend.

Das von Konstantin Wecker präsentierte facettenreiche Kaleidoskop aus Gedichten, autobiografischen Notizen und alten wie neuen Liedern entwickelt eine ganz besondere Intensität durch die kongeniale Begleitung von Cellistin Fany Kammerlander und Jo Barnikel am Klavier. Gemeinsam erschafft das Trio intime, fast kammermusikalische Momente von höchstem Genuss. Von dieser hochkarätigen musikalischen Umsetzung profitieren Konstantin Weckers eigene Lieder, zugleich veredeln Kammerlander und Barnikel immer wieder jene Momente, in denen der Liedermacher seine Verse zu wohl bekannten Melodien von Puccini bis Beethoven stellt.

Der Poet Wecker überzeugt mit stimmigen Bildern von teils entwaffnender Schlichtheit und nicht zuletzt mit seinem unerschütterlichen Mut zum Reim. Der Gleichklang am Versende wirkt beim gereiften Barden nie altbacken, sondern stets erfrischend. Dabei erzeugt der Reim oft die entscheidende Prise Leichtigkeit, das Quäntchen Humor, die universelle Leitsätze bekömmlicher machen: „Zwischen Zärtlichkeit und Wut fasse ich zum Leben Mut.“ Neben derlei poetischen Ermunterungen, die eigenen Gefühle zuzulassen und sich doch bitte nicht „mit Scheuklappen durch eine Welt voller Wunder“ zu bewegen, ist Wecker das Politische wichtig wie eh und je.

Mehr als einmal ermahnt er die Zuhörerschaft, nicht kritiklos den Anweisungen der Obrigkeit Folge zu leisten. Für den 1947 geborenen Liedermacher gebietet das die Erfahrung der Nazi-Diktatur: „Die Welt darf nie aufhören, über den Holocaust nachzudenken.“ Dass heutzutage wieder Rechtsextreme und Faschisten in europäischen Parlamenten säßen, mache ihn fassungslos. Zur gegenwärtigen Situation in Europa bezieht er klar Position und bekommt dafür Applaus: „Aufrüstung als einzige Waffe gegen den Krieg? Das will mir nicht in den Sinn.“
Heute ist für Konstantin Wecker auch das Älterwerden Thema. Er erinnert an die 1,6 Millionen Menschen, die hierzulande an Demenz erkrankt sind, und sagt: „Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, sie in unserer Mitte zu halten.“ Derlei nachdenklichen Tönen zum Trotz weiß Wecker immer wieder mit eindrucksvollen Bildern vom Reichtum eines erfüllten Lebens zu begeistern. Etwa, wenn er beschreibt, wie er im Arbeitszimmer des legendären griechischen Komponisten und Widerstandskämpfers Mikis Theodorakis diesem am Klavier vorspielte. Mit Blick auf die Akropolis. Dann ist sie wieder da, die kollektive Gänsehaut.

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