Die Ballade von Amadeu Antonio
Songtext
Siehst as Willy, jetzt is doch scho a Zeit her, daß wir
uns as letzte Mal gesprochen habn. Vor über zwanzig
Jahren bin ich an deinem Grab gestanden und hab mei
ganze Wut rauslassen. Konnst di no erinnern, Willy,
woaßt as no?
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit, und heit,
heit werd a begrabn.
Lange Zeit hab ich dieses Lied nicht mehr gesungen,
Willy, und ehrlich gsagt, i hab koa rechte Lust mehr
ghabt, mich um die Politik zu kümmern. Ma braucht a
immer wieder seine Auszeiten, wo ma sich um sich
selber kümmern muß, wo ma einfach uferlos vor sich
hin leben will.
Und dann hat sich alles so überstürzt. Mit einem
Schlag sind die schönsten Utopien zerplatzt, innerhalb
von einer Nacht hat sich die ganze Welt verändert. Und
das war eine berauschende, eine wundervolle Nacht,
wie die die Mauer zerschlagen haben. Ja, Willy, du hast
schon richtig gehört, die Mauer ist weg, Deutschland ist
wiedervereinigt. Wenigstens auf dem Papier.
Aber man hat halt wieder alles falsch gemacht, was
falsch zu machen war. Unsere Flottmänner haben in
Windeseile die DDR aufgekauft, wildgewordene
Versicherungsvertreter sind wie die biblische
Heuschreckenplage über das Land hergefallen, und
unsere Politiker, diese mutierten
Gebrauchtwagenhändler, haben es wieder
fallenlassen. Und drüben will sich jetzt keiner mehr
daran erinnern, wie begeistert sie dem Kohl zugejubelt
haben, weil er ihnen wunderschöne Videorecorder
versprochen hat.
Und jetzt: Arbeitslosigkeit und eine große Leere im
Herzen. Der bunte Vogel Freiheit hat ganz schön die
Flügel gestutzt bekommen, und die Mauer zwischen
den Deutschen scheint unüberwindbarer als jemals
zuvor. Aber wer ein Volk bescheißt und betrügt, der
muß halt damit rechnen, daß es durchdreht. Und sie
drehen alle durch, Willy, du kannst dir gar nicht
vorstellen, was los ist. Deutschland brennt, Willy, und
solche wie du sind rar geworden.
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit, und heit,
heit fangt des ois wieder an.
Hast as schreien ghört, in Rostock, Willy, du muaßts
doch ghört habn, Ausländer, Asylanten, die Ärmsten
und Schwächsten habn sich diese Feiglinge natürlich
ausgesucht. Aber die dummen Buben waren gar nicht
das Schlimmste, sondern diese ganze feixende und
Beifall klatschende Meute, die drum rum gestanden ist.
Ja, Willy, Beifall hams geklatscht, während über
hundert Vietnamesen verzweifelt um Hilfe geschrien
haben. Und vorher in Hoyerswerda, in Hünxe und dann
in Mölln und, und, und…
Weißt du noch, wie sie damals den Staat aufgerüstet
haben gegen die RAF? Grad jetzt in München haben
sie beim Weltwirtschaftsgipfel Armeen angekarrt, um
den Staat gegen hundert Leut mit ihre Trillerpfeifen zu
schützen, aber da ging´s halt gegen hohe Politiker,
wertvollere Menschen anscheinend, weil jetzt, jetzt
macht die Polizei einen Schichtwechsel, wenn
Vietnamesen abgefackelt werden und Neger
aufgeklatscht. Abfackeln, aufklatschen, ja wo samma
denn, Willy – und glaubst du, einer unserer Politiker
hätte sich persönlich entschuldigt, nix da, als Antwort
auf diese Schweinereien haben sie versprochen, das
Asylproblem in den Griff zu bekommen – dem Mob recht
geben, nur um an der Macht zu bleiben und die
nächsten Wahlen zu gewinnen, pfui Deife, Willy, pfui
Deife!
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit, und heit,
heit fangt des ois wieder an.
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit, und heit,
heit fangt des ois wieder an.
Na, Willy, du bist schon nicht mehr allein mit deinem
Schicksal, und vielleicht habt ihr euch im Himmel drobn
sogar getroffen, der schwarze Amadeu und du, und er
hat dir seine Geschichte schon verzählt, aber trotzdem,
trotzdem muß man´s immer wieder rausschreien,
vielleicht kannst du dich an das Gedicht noch erinnern,
vom Pfarrer Niemöller:
„Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Und als sie mich holten,
gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Ja, den Amadeu, den Angolaner, den habns
daschlagn, datreten, weil er Neger war, weils ihrn Spaß
haben wollten, und drei Polizisten sind dabeigstanden
und wollten „mit dieser Gruppe nicht in Konflikt
geraten“. Siehst as jetzt, wia weit ma wieder san?
„Deutschland den Deutschen“, grölts durch
Eberswalde, und mit Baseballschlägern und Messern
gehts den Negern an den Kragen. Die laufen um ihr
Leben, Willy, aber oan dawischns no, und Eberswalde
schweigt dazu, denn a bisserl lästig war´ns halt doch,
die vielen Neger, und dann kreisen sie den Amadeu
ein und schubsen ihn herum, ja ma wird doch an so an
Neger noch a bissen schubsen dürfa, und der Antonio
Amadeu versteht die Welt nicht mehr und zittert
und schreit, und Eberswalde schweigt dazu, aber
Deutschland gehört nun mal den Deutschen. Klar, sie
haben sich´s ja alle verdient, ein sauberes, ein reiches
Land, und dann ziehen sich die Glatzen Kapuzen übern
Kopf und binden sich Tücher vors Gesicht, wie im
richtigen Kino, und dann springen sie dem Amadeu mit
ihren schweren Stiefeln ins Gesicht, immer und immer
wieder. Willy, mein Gott, Willy, mir kanntn di wieder so
braucha, wir alle braucha doch oan wies du oana bist,
Willy, da muaß doch was gscheng, da müaß ma doch
was doa, alle miteinander:
Gestern habns an Amadeu daschlagn,
aber heit, aber heit, aber heit,
heit halt ma zsamm.
Gestern habns an Amadeu daschlagn,
aber heit, aber heit, aber heit, heit
halt ma zsamm.
Erstmals vorgetragen im „Scheibenwischer“ (ARD, 24.9.1992)
Musik und Text
Konstantin Wecker
Abdruckrechte
Sturm & Klang Musikverlag GmbH / Chrysalis Music Holdings GmbH / Alisa Wessel Musikverlag
Erstveröffentlichung
Weitere Veröffentlichungen