Jetzt eine Insel finden
Songtext
Jetzt eine Insel finden und in seentiefem Blau,
von Opiaten überwölkt nach innen sinken.
Nur nichts von außen. An der eignen Wesensschau
den Lebensrest verzaubernd sich betrinken.
Und doch: Selbst mit verschloßnen Ohren
kann ich den anderen Wirklichkeiten nicht entfliehn.
Denn leider kann sich keiner ungeschoren
auf Dauer in die eigne Welt verziehn.
Mach ruhig die Augen zu: Du kannst das Blut nicht übersehen.
Schlag dir die Nase ab: Es stinkt nach Untergang.
Und einmal werden die Geschundnen vor dir stehen
und werden fragen: Was hast du getan?
Ich scheuchte gern diese Gedanken von mir weg
und würd sie lieber gar nicht schreiben oder singen.
Ich stellte oft die Freude schützend vor den Dreck,
mit dem sich Menschen immer in die Knie zwingen.
Doch manchmal seh ich sie vor mir mit leeren Augen,
zerschundnen Händen, aufgeblähtem Bauch,
ich möchte schlafen und dem bösen Traum nicht glauben
und seh mich plötzlich zwischen all dem auch.
Seh mich gejagt als Nigger in dem Schmutz
einer zurückgebliebnen weißen Fettwanstwelt,
seh mich als Jäger, der sich in dem Schutz
einer entmenschlichten Moral gefällt.
Und spüre Schmerz, der nie der meine war.
Und heul mit einem Türkenkind.
Und bringe in der Wüste Opfer dar,
auf daß der Regen komme mit dem Wind.
Daß so viel Blut die Erde fassen kann!
Ich werde bald ertrinken in dem Rot.
Und weiß – das fängt erst alles an.
Wenn wir nicht schnell erwachen, sind wir tot.
Auf einmal seh ich plastisch all die Lügen,
die unsrer Erde ihren Atem rauben,
und all die toten Seelen, die sich fügen,
weil ihre Körper sich am Leben glauben.
Die Straßen sind gefüllt mit Geisterwesen,
die man schon lange aus der Welt verbannte.
Ich hab als Kind erstaunt davon gelesen,
und jetzt erschreckt mich all das Unbekannte.
Ich sehe Priester, die das Kreuz der Liebe
wie ein Gewehr auf ihre Schäfchen richten,
und wie die großen Gauner kleine Diebe
uns zur Erbauung gnadenlos vernichten.
Ich seh auf einmal diese feinen Stoffe,
aus denen Menschen eigentlich bestehen.
Und habe Angst und bete, und ich hoffe,
mich jetzt noch nicht so eigentlich zu sehen.
Als könnte jemals jemand ganz allein
in seiner Höhle mit sich vegetieren.
Wir sind vermummt, wir hörn sie nicht mehr schreien,
die ständig in und um uns existieren.
Es ist ein langer Marsch durch die Geschichte,
der sich vor mir in diesem Augenblick vereint,
und ich verwünsche schaudernd die Gesichte,
wo mir so vieles plötzlich körperlich erscheint,
was nur abstrakt in unserer Psyche
befreit von Mythen, heißt es, existiert.
Doch das Abstrakte hat Gerüche
und nimmt Gestalt an, zeugt, gebiert.
Jetzt zieht ein Heer von Tieren durch die Nacht,
ein Trauermarsch zertretner Kreatur.
Die fragen stumm: Was habt ihr nur gemacht,
erkennt ihr nie mehr diese unsichtbare Schnur,
die alle mit dem anderen verbindet,
die euch allein, doch nie vereinzelt läßt –
die hält euch, bis der Letzte Frieden findet,
im Strudel eurer Grausamkeiten fest?
Noch wird es Tag, die Sonne streichelt wieder,
als wüßte sie von nichts, die ganze Welt.
Ich komm mir wichtig vor und bette mich in Lieder,
obwohl doch alles bald zusammenfällt.
Da unten wird grad einer abgestochen.
Ich prüf die Härte meines Frühstückseis.
Wo hat sich meine Seele wieder hin verkrochen?
Ich will davon und wart am falschen Gleis.
Und während ich hier wieder einmal klage,
springt einer irgendeinem ins Gesicht.
Natürlich weil er recht hat, und die Frage
erübrigt sich schon lang: Wer hat das nicht?
Jetzt eine Insel finden und in seentiefem Blau,
von Opiaten überwölkt nach innen sinken.
Nur nichts von außen. An der eignen Wesensschau
den Lebensrest verzaubernd sich betrinken.
Und doch: Selbst mit verschloßnen Ohren
kann ich den anderen Wirklichkeiten nicht entfliehn.
Denn leider kann sich keiner ungeschoren
auf Dauer in die eigne Welt verziehn.
Musik und Text
Konstantin Wecker
Abdruckrechte
dtv Verlag
Erstveröffentlichung
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