Willy 2015
Songtext
Mei Willy, jetzt is wieder ganz schön was los hier bei uns und ich muss dich unbedingt noch einmal stören, nachdem ich mich über zehn Jahre nicht mehr zu Wort gemeldet hab.
Vielleicht bin ich ja zu hellhörig und ich hör die Flöhe husten, aber ich hab Angst, dass wir – hundert Jahre nach dem ersten Weltkrieg – wieder kurz vor einem neuen großen Krieg stehen.
Woasst es no, 68 war des, wo wir miteinander gegen den Krieg demonstriert haben, mei wia lang is des her. Fast a halbs Jahrhundert!
Damals san bloß de Amis in Vietnam g’standen, heit stehn wir Deutschen fast überall auf der Welt mit unsere Soldaten. I hätt’s ja nicht geglaubt, dass´ wieder so weit kommt mit Deutschland.
Aber die Zeichen stehen auf Aufrüsten, und da hat wohl eine gewaltige Lobby ein gewaltiges finanzielles Interesse dran.
Kaputt machen, wieder aufbauen, neue Märkte, neue Waffen, neue Särge, neues Geld – das ist nun mal der Hauptantrieb unseres völlig kranken Wirtschaftssystems.
Die Medien manipulieren wie schon lange nicht mehr und was gut ist und böse, richtig und falsch wird uns wie eine bittere Medizin tagtäglich eingeflößt.
Und unsere Regierung? Die GroKo? Die schert sich wie gewohnt einen Dreck um das, was wir wollen.
Wenn die alle Leut´ fragen würden ob sie einen Krieg wollen, was glaubst du würden die Leut´ sagen?
Aber sie fragen nicht, sondern erklären uns, dass diesmal Deutschland statt am Hindukusch auf der Krim verteidigt wird.
Und sie wissen genau: Wiederholungen sind mächtiger als die Wahrheit, weil Menschen nun mal falscher Kriegspropaganda mehr Glauben schenken, je öfter sie die hören.
Mei Willy, manches bleibt erschreckend aktuell, woaßt as no, 1992 hab i gsungen:
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.
Und die Friedensbewegung?
Statt dass sich Hunderttausende gegen den drohenden Wahnsinn erheben, laufen sie in Scharen irgendwelchen völkischrassistischen Schwachköpfen und Möchtegernadolfs hinterher und kämpfen gegen die Islamisierung des Abendlandes.
Vor allem in Dresden, dieser schönen Stadt Erich Kästners, einer Stadt mit gerade mal 2,2 Prozent Ausländeranteil – diese Pegidisten sollten eher Angst haben vor einer Idiotisierung des Abendlandes.
Es wäre ja gut, wenn so viele auf die Straße gehen und sich empören, das gehört zum Wesen der Demokratie – aber bei Pegida machen es sich die Menschen zu einfach. Sie sind nicht bereit oder einfach nicht fähig, den wahren Gründen auf die Schliche zu kommen. Stattdessen sucht man sich die Ärmsten der Armen, um einen Schuldigen zu finden: die Flüchtlinge. Und dann wird da noch unterschieden zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. Als ob die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge nicht deswegen vor Hunger und Not fliehen, weil auch wir sie mit unserem Wirtschaftssystem und unserem Wohlstand in die Armut getrieben haben.
Aufklärung ist das Gebot der Stunde!
Den wahren Ursachen müssten sie auf den Grund gehen. Schon seit langem frage ich mich, weshalb es nicht jedem klar denkenden Menschen offensichtlich ist, dass jemand, der sich bereichert, weil er aus Geld mehr Geld macht, schlicht zu den Strauchdieben unserer Gesellschaft zählt, weshalb es auch eine Riesensauerei ist, die Armen, die Flüchtlinge, die Arbeitslosen und wen auch sonst noch mit derartigen Vorwürfen zu überziehen, gipfelnd in Entmenschlichungsvokabeln wie Schmarotzer oder Parasiten.
Nennen wir sie daher ruhig beim Namen, diese wirklichen Wegelagerer: es sind die Finanzspekulanten, die das Geld als Waffe benutzen, um anderen, den arbeitenden Menschen, das eigentlich wohlverdiente Geld zu klauen.
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.
Du woaßt as Willy, i war immer Pazifist und da hat mas nicht leicht in diesen Zeiten.
PazifistInnen wurden und werden gerne verlacht, verspottet, beschimpft und beleidigt.
Man wirft uns Naivität vor. Na und? Lieber naiv als korrupt. Lieber seh ich die Welt mit Kinderaugen als mit den verblendeten Augen der Macht und der Gier. Wir sind angeblich feige, wir sollen Weicheier sein. Fragt sich, wie tapfer und harteiig es ist, andere für das eigene Wohlbefinden auf das Schlachtfeld zu schicken.
Sollen doch all die harten Männer spotten und schimpfen. Mein sanfter Vater hatte unter der Schreckensherrschaft Hitlers den Kriegsdienst verweigert. Und ich bin es seinem Andenken schuldig, nicht aufzugeben.
Ich möchte nicht, dass die Stimme des Pazifismus verlorengeht in einer Zeit des erneuten Säbelrasselns. Ich verstehe mich auch nicht einfach nur als „friedensbewegt“ – nein, ich bin radikaler: Ich bin Pazifist und Romantiker, Träumer und Barde und ich glaube weiter an die Kraft der gewaltfreien Veränderung. Ungehorsam ist gefragt, Willy, Ungehorsam! Wir sollten Schulen des Ungehorsams gründen, um ein Gegengewicht zu schaffen gegen die Gehorsamsschulen des Militärs. Und zuallererst müssen wir PazifistInnen uns gegen die Nebelkerzen wehren, mit denen wir täglich beschossen werden.
Aber wenn sich der Nebel endlich gelichtet hat, sind wir dann auch bereit, aufzustehen? Was wäre, wenn der Friede kein Wunder bräuchte, sondern eine Revolution?
Ja – eine Revolution, Willy. Denn bei Heckler & Koch und Co knallen angesichts der weltweiten Kriege doch schon die Champagnerkorken an die Lüster.
Wir bräuchten wieder einen wie dich Willy.
Einen wie dich, einen der sein Maul aufmacht und schreit: „Halts Mei Faschist. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.“
Aber i woaß, einige machen weida Willy, und die werden auch mehrer werdn, so wie du gesagt hast:
„Ma muass weiterkämpfen, weiterkämpfen, a wenn die ganze Welt an Arsch offen hat.“
Gestern habns an Willy daschlagn,
aber heit, aber heit aber heit, heit halt ma zsamm.
Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit und heit und heit halt ma zsamm.
Musik und Text
Konstantin Wecker
Abdruckrechte
Sturm & Klang Musikverlag GmbH / Chrysalis Music Holdings GmbH / Alisa Wessel Musikverlag
Erstveröffentlichung
Weitere Veröffentlichungen