Willy III
Songtext
Tut mir leid, Willy, dass ich dich noch einmal belästigen muss in Deiner wohlverdienten, ewigen Ruhe.
Aber es brennt mir so auf der Seele, und die Gespräche mit dir waren immer so schön unbesonnen, so gar nicht „political correct“.
So wie wir zwei immer miteinander geredet haben denken viele glaub ich. Aber man tut es nicht mehr allzu laut Willy.
Keine Gefühle mehr in der Politik, keine wirklich neuen Ideen.
Keine Visionen oder gar Utopien.
Und vor allem nichts Radikales.
Um Gottes Willen nur nichts Radikales in der Gesellschaft der Normalität. Der Glaube an den Fortschritt ist ungebrochen und wird mit dem Flammenschwert der Verdrängung verteidigt.
Du kannst dir nicht vorstellen, was da zur Zeit los war. Eine Horde christlich-liberaler Politiker rastete aus und hackt auf die 68er ein, als wäre das die letzte Möglichkeit ihr langweiliges Karriere-Dasein noch zu entschuldigen.
Den Fischer ham´s grad in der Mangel gehabt, na, als wenn sie nicht wüssten dass es gefährlich sein kann sich mit dem anzulegen. Wenn´s sein muss schickt der die NATO, wie wir wissen. Aber er soll mal Steine geschmissen haben, und dass ist natürlich viel schlimmer.
Und dann wird gleich der Vergleich mit den Faschisten aus der Versenkung geholt. Wir haben uns damals schon gewehrt gegen die fatalen Ideologisierungen der 70er. Gegen diese moralpolitischen Eitelkeiten. Aber ich sehe immer noch schon einen Riesenunterschied darin feige über Obdachlose oder Ausländer in Horden herzufallen, oder sich gegen schwerbewaffnete Polizisten zu verteidigen.
Aber weißt was Willy? Hier wird nicht den Steinewerfern der Prozess gemacht, sondern wieder mal all jenen die sich gegen bestehende Moral und Norm zur Wehr setzen. Die es wagen dass anzugreifen was scheinbar festgefügt immer wieder und für ewig gilt.
Haben wir nicht die beste aller möglichen Gesellschaftsformen, heißt es immer wieder, und alle nicken ergriffen, als müsste nicht auch das beste System immer wieder erneuert werden. Als müsste man nicht immer bereit sein Weltbild in Frage zu stellen.
Na, und wie perfekt ist denn nun dieses beste aller Systeme wirklich? Nur weil es hierzulande den meisten finanziell ganz gut geht? Was soll man aber machen gegen hemmungslos spekulierende Fondsmanager? Gegen das organisierte Verbrechen an der Biosphäre? Gegen 30 Millionen verhungernde jährlich, und einige Millionen nur an Ernährungsmangel blind gewordener Kinder?
Wer kämpft eigentlich noch gegen den Ausnahmezustand der benutzten Natur? Kein Tier, kein Baum, kein Fluss und kein Meer besitzt noch irgend einen Wert in sich selbst. Sie alle sind entwertet durch die Tatsache dass sie kein Geld sind.
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, kannst du dich noch erinnern Willy? An den Adorno? Es gibt keine Insel des Glücks in einer Welt voller Leid.
Aber wir haben ja eine unangreifbare perfekte Gesellschaft, gegen die vor allem die nicht vorgehen werden, die es geschafft haben. Die Saturierten. Aber hinter jedem Fetten stehen ein paar Abgemagerte, Ausgehungerte. Und solche voller Ideen und Träume, denen die Karriere nicht alles ist. Die erkannt haben dass es unmöglich ist sich Glück zu erkaufen. Die lieber hungern, als ihre Seele verhungern zu lassen. Die lieber protestieren, als sich schmieren zu lassen
Aber das alles ist natürlich nicht mehr so erwähnenswert wie die Fellatio an einem Präsidenten, oder der wundersame Samentransfer eines Tennisspielers.
Ja, Willy, jetzt werden´s alle wieder sagen: schauts ihn an, den Moralisten, den Wecker, er kann´s nicht lassen. Aber du bist mein Zeuge, ich hasse die Moral. Immer wenn moralischer Eifer im Spiel ist, steckt ein handfestes egoistisches Interesse dahinter.
Ich will nur nicht aufhören nach der Wahrheit zu suchen. Wer mit der allgemeinen Gier nicht mitzieht, wer es nicht unglaublich hip findet sein Geld zum Zwecke der Vermehrung ein paar mal um den Erdball zu jagen, wer es nicht toll findet die zu bescheißen, die nun mal nicht so clever sind, der wird bestenfalls als Spinner verlacht, oder als ewig gestriger abgetan
Und es gab damals wie heute Gründe gegen einen selbstgerechten Staat vorzugehen. Zu demonstrieren, zu protestieren, und wie denn bitte, wenn nicht auch mit außerparlamentarischen Mitteln?
Vor zweieinhalb Tausend Jahren hat Lao-Tse den Weg zu einer friedlichen, gesunden Gesellschaft beschrieben:
Die Tüchtigen nicht bevorzugen,
so macht man, dass das Volk nicht streitet.
Kostbarkeiten nicht schätzen,
so macht man, dass das Volk nicht stiehlt.
Nichts begehrenswertes Zeigen,
so macht man dass das Herz nicht wirr wird.
Darf man denn eigentlich über so was gar nicht mehr nachdenken? Über eine Ordnung ohne Konkurrenz und Leistungserfolg, ohne Besitz und Wettbewerb? Statt eines gesunden Geldbeutels eine gesunde Psyche? Sind diese Utopien verboten?
Das wäre für mich Globalisierung! Nicht ein hemmungslos freier Markt als Krönung abendländischer Kulturentwicklung zur Weltzerstörung!
Wer gegen Steine werfen ist, muss auch gegen die Grausamkeit dieser geldsüchtigen Gesellschaft sein. Und wer Jagd auf andere macht, muss zuerst mal sich selber jagen.
So, und jetzt ist Schluss, Willy, ich werde dich nicht noch einmal ausgraben. Ich lass dir deinen Frieden.
Nur leider musste ich dein Lied zum Schluss noch einmal umschreiben.
Gestern ham´s an Willy begrob´n!
Und heut, und heut und heut – heut werd a nomal derschlog´n!
Gestern ham´s an Willy begrob´n!
Und heut, und heut und heut – heut werd a nomal derschlog´n!
Musik und Text
Konstantin Wecker
Abdruckrechte
Sturm & Klang Musikverlag GmbH / Chrysalis Music Holdings GmbH / Alisa Wessel Musikverlag
Erstveröffentlichung
Weitere Veröffentlichungen